Über Gräbern die Hand der Versöhnung reichen. Polen und Deutsche richten Friedhof her

Engagierte bei der Friedhofsaktion, Foto von Tamara Pahlke

Noch die letzten Tage in diesem Oktober 2021 brutzele ich meinen märkischen Wanst in der türkischen Sonne. Wohlstandsbesoffen und gammelnd surfe ich im weltweiten Netz und bleibe bei einem Beitrag der gebürtigen Hannoveranerin Tamara Pahlke auf Instagram hängen, die deutlich fleißiger zu sein scheint. Das Masurenmädchen – so nennt sie sich dort – macht ihrem Namen alle Ehre und veröffentlicht mehrere Fotos von Fleißigen, die bei der Instandsetzung und Pflege eines alten deutschen Friedhofs zu sehen sind. Gut gelaunt und von einem Lagerfeuer begleitet werden alte Gräber sichtbar, die im Laufe der Jahre zugewachsen zu verschwinden drohten. Sasek Mały ist zu lesen. Das Örtchen hieß früher mal Paterschobensee und liegt im ehemaligen Landkreis Ortelsburg, Regierungsbezirk Allenstein in Ostpreußen, knapp 700 km östlich von Berlin. Ein ganzes Stück weg. Wie schön ist das denn? Dachte ich mir und habe kurzerhand zum Masurenmädchen Kontakt aufgenommen.

Schon vor Jahren war Tamara mit Freundinnen vor Ort und hat Gräber gepflegt. Heute freut sie sich auch über tatkräftige männliche Unterstützung, die mit schwerem Gerät die alte Ruhestätte von neuen Bäumen und Geäst befreiten. Polen wie Deutsche gleichermaßen. Die Geschichte ist warm und herzlich und animiert zum Nachmachen. Akteure der Kreisgemeinschaft Ortelsburg e.V., die Gastwirtin Ewa Piatkowska, der sehr engagierte Erwin Gregor Gonsowski, die Genealogin Tamara Pahlke und viele, viele weitere hier namentlich unerwähnt Gebliebene. Slawek z.B., dessen Familienname Tamara nicht mehr in den Sinn kam. Sie alle machten in einer beeindruckenden Aktion den alten deutschen Friedhof von Paterschobensee wieder flott.

Ganz so spontan kann man natürlich nicht einfach drauf los Bäume schlagen. Gemeinde und Forst sind zu fragen. Erwin Gonsowski, heute in Deutschland lebend, stammt aus der Gegend und konnte denkbare bürokratische Hürden dank seiner guten Kontakte bereits im Vorfeld nehmen. Neben der lokalen Feuerwehr sei gut die Häfte der Dorfeinwohner mit dabei gewesen sowie Gäste von Ewa, die sich spontan bereit erklärten, mitzuhelfen. Aktive Erholung trifft auf Geschichte. Einige freuten sich über Feuerholz, andere über Ewa’s Suppe; doch eines hatten alle gemeinsam: sie haben etwas Gutes vollbracht. Zusammen und über Grenzen hinweg. Einfach nur toll.

Nächstes Jahr im Frühling ist eine Umzäunung und eine Gedenktafel geplant. Finanziert wird das Ganze übrigens komplett aus den eigenen Taschen der Beteiligten und mit Unterstützung der Kreisgemeinschaft Ortelsburg.

Mich hat Tamaras Motivation interessiert und als hätte ich es geahnt: ihre Familie stammt aus den Dörfern um den See herum. Ihr Urgroßvater ist nach dem Krieg in der alten Heimat auf dem Hofe im nahe gelegenen Klein Jerutten (Jerutki) geblieben, wo er 66ha Land bewirtschaftete. Er starb 1956 und liegt in „heimatlicher Erde“ begraben. „Ich war immer sehr umtriebig, doch in den Masuren fühle ich mich zu Hause. Das ist meine Heimat, auch wenn hier heute Polen leben. Über Jahrhunderte haben auch hier meine Vorfahren gelebt. Das kann man nicht einfach wegwischen.“ so die sympathische Ahnenforscherin, die heute in Giesen lebt. Der Friedhof in Klein Jerutten steht übrigens als nächstes auf ihrer Agenda. Die studierte Genealogin empfindet es als erfüllend, „über den Gräbern die Hand der Versöhnung zu reichen und mit den Einwohnern ins Gespräch zu kommen“. Das kann ich nur unterschreiben und unterstützen. Weiter so und Danke für diesen wertvollen Beitrag.

Herzlichst, Euer Daniel Kuss…

Quellen:

 

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